Was sind Krafträuber, was gibt Energie?
Wir helfen Krebsbetroffenen, Grenzen zu definieren
Dr. med. Boris Hübenthal ist Ärztlicher Leiter des Züricher Zentrums für Integrative Onkologie ZIO AG. Im Interview beschreibt er die Bedeutung von Bewegung und Entspannung für die Krebstherapie.
Welche Formen der Bewegung empfehlen Sie Krebsbetroffenen?
In der integrativen Onkologie betrachten wir Bewegung als umfassendes Konzept aus drei Bereichen: Neben dem klassischen Ausdauersport gibt es die achtsame Bewegungstherapie, also Yoga, Tai Chi oder Qi Gong in Asien und die Heileurythmie in Europa, sowie Bewegung als geistige Flexibilität. Darunter verstehen wir zum Beispiel Kunst-, Mal- und Musiktherapie. Die Entscheidung für die Art der Bewegung macht man letztlich an den individuellen Bedürfnissen des Einzelnen fest.
Was versteht man unter Heileurythmie?
Die Heileurythmie ist eine achtsame Bewegungsform aus dem Bereich der anthroposophischen Medizin. Der Begriff leitet sich aus dem Griechischen ab und bedeutet „schöner Rhythmus“. Bei der Heileurythmie werden Vokale und Konsonanten in Bewegungen umgewandelt, die in Beziehungen zu den Organen stehen. Gesten und Laute dynamisieren den Energiefluss im Körper und regen Heilungsprozesse an.
Warum ist Entspannung so wichtig in der Krebstherapie?
Für die Seele ist es wichtig, Stress zu reduzieren. Allein schon die Krebsdiagnose und die Therapie sind mit großem Stress verbunden. Insbesondere Frauen mit Brustkrebs sind oft traumatisiert, dass ihr Körper sie in Hinblick auf das Zulassen der Krebserkrankung im Stich gelassen hat. Hier helfen Formen der Entspannung wie Meditation und Körperreisen. Ebenfalls gut: Äußere Anwendungen, also Einreibungen und Wickel, die auch auf Stoffwechselebene wirken.
Wie gelingt es, Bewegung und Entspannung langfristig in den Alltag zu integrieren?
Menschen mit einer Krebserkrankung fällt es oft leichter, gesunde Routinen zu etablieren. Denn sobald sich die lähmende Angst nach der Diagnose gelegt hat – kann die Krankheit wie ein „Weckruf“ auch positive Veränderungen auslösen: Krebs bringt uns viel zum Thema Abgrenzung bei, indem er sich über die gesunde Ordnung im Körper hinwegsetzt. Menschen, die das erleben, achten oft besonders darauf, ihre Grenzen zu definieren und die wesentlichen Bedürfnisse im Alltag zu erfüllen. Immer wieder sind die Fragen zu beantworten: Was sind Krafträuber? – Die müssen nach Möglichkeit sofort ausgeschaltet werden. Wo strömt mir Energie zu? – Solche Kraftquellen gilt es täglich zu nutzen. Diese Fragen klären unsere Patient:innen ganz aktiv für sich, und wir unterstützen sie auf dem Weg.